In diesem Beitrag widmen wir uns heute unter dem Hashtag #WomensCrushWednesday Vicki Baum.
Wiener Kindheit und Jugend
Vicki Baum (ext. Link zu Wikipedia), auch Vicky Baum, eigentlich Hedwig Baum (* 24. Januar 1888 in Wien; † 29. August 1960 in Los Angeles) war eine österreichische Musikerin (Harfenistin) und eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Weimarer Republik. Vicki Baum war so etwas wie das Gesicht der modernen Frau der Zwanziger Jahre – berufstätig, unabhängig, modern. Als Redakteurin des Ullstein Verlags eroberte sie den Berliner Boulevard. Sie emigrierte 1932 in die USA und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an.
Baum war das einzige Kind einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in Wien. Ihre Kindheit war geprägt durch die Krankheit ihrer depressiven Mutter und die Tyrannei ihres exzentrischen, hypochondrischen Vaters. Die Mutter, Mathilde Donath, kam aus einer wohlhabenden Familie und schloß mit 21 eine Konvenienzehe mit dem Kaufmann Hermann Baum. Sie litt u.a. an der Zeitkrankheit “Hysterie” und verbrachte mehrere Monate in der Privatklinik Inzersdorf. Als Kind sehnte sich Vicki nach der Liebe ihrer nervösen, oft abwesenden und narzisstischen Mutter und fühlte sich isoliert und in der Schule als Aussenseiterin. Der Vater wollte lieber einen Jungen – der hätte “Viktor” heissen sollen – und erzog seine Tochter mit Härte: Sie durfte nicht weinen und bekam keine Süssigkeiten, wurde aber für hervorragende Leistungen und gutes Benehmen mit Geld belohnt. Diese Lektion behielt sie und war zeitlebens stark motiviert, Geld zu verdienen. “Nur Anpassung und Leistung zahlten sich in barer Münze aus.” Später, in ihren subjektiv gefärbten Memoiren, zeigte sie sich für die strenge Erziehung dankbar: sie hätte ihren Charakter gestärkt. Und die traumatischen Kindheits- und Jugenderlebnisse seien auch eine wichtige Quelle ihrer späteren Kreativität.
Die Harfenistin
Baums Mutter wollte verhindern, dass ihre Tochter wie sie selbst ein abhängiges Leben führen mußte, und schickte Vicki in die Vorbereitungskurse am Konservatorium für das Fach Harfe; sie sollte Berufsmusikerin werden. 1907 debütierte Vicki als Harfenistin im Concertverein (dem Vorgängerorchester der heutigen Wiener Symphoniker); sie war die einzige Frau unter 80 Männern. Die junge Musikerin trat bald mindestens einmal die Woche als Solistin auf.
Inzwischen war ihre Mutter an Krebs erkrankt, und Vicki mußte sie zwischen ihren Proben und Auftritten pflegen, denn der ängstliche Vater war vor der Krankheit zu Mutter und Schwester geflohen. Vickis Mutter starb 1908. Nach diesem schweren Erlebnis hatte Vicki oft Angst, selbst die Kontrolle zu verlieren und Selbstmord begehen zu wollen. Nach aussen hin aber lebte sie von da an “Stärke, Lebenswillen und Tüchtigkeit, kurzum das ‘Trotz allem’, ihre ganz private ‘Religion’, der sie zeit ihres Lebens anhing.”
Zwei Ehen nacheinander
Während dieser Zeit lernte sie den Schriftsteller Max Prels kennen, den sie 1909 heiratete und für den sie Schreibaufgaben übernahm, wenn er seine Termine überzog. Die Harfenistin entdeckte, dass sie unter Zeitdruck gut schreiben konnte. Bei einem Preisausschreiben für die Münchener Satirezeitschrift Licht und Schatten gewann sie den ersten Preis; unter den Preisrichtern waren Thomas Mann und Ludwig Thoma.
1911 war die Ehe vorbei (Scheidung 1913). Vicki lernte den Musiker Richard Lert (getauft Löw) kennen—seine Schwestern waren ihre Harfenschülerinnen. Lert, damals zweiter Kapellmeister in Darmstadt, lud sie zum Probespiel in seinem Orchester ein; sie spielte so bravourös, dass sie sofort einen Dreijahres-Vertrag angeboten bekam. 1914 ging sie nach Darmstadt, wo sie sich nun eine eigene Wohnung leisten konnte, und begann mit ihrem zweiten Roman, Eingang zur Bühne (den ersten, Frühe Schatten, hatte sie hauptsächlich als Selbsttherapie nach der Krankheit ihrer Mutter geschrieben).
1916 heiratete sie Lert und zog mit ihm nach Kiel, wo er als Operndirektor seine erste leitende Stelle hatte. Ein Angebot von Bruno Walter, als Harfenistin nach München zu gehen, lehnte sie ab: sie wollte die harte Arbeit ihres anspruchsvollen Berufs aufgeben und Mutter werden. Sohn Wolfgang wurde dann im Winter 1917 zur Zeit der schwersten Kriegsentbehrungen geboren. Ihr zweiter Sohn Johannes Peter Lert wurde am 14.1.1921 in Hannover geboren.
Hannover 1919 – 1924
1919 hatte Richard Lert eine Stelle am Preußischen Hoftheater in Hannover angenommen und machte bald Furore mit seinen modernen Aufführungen der Opern von Händel, die er “wiederentdeckt” hatte und in Deutschland einführte. Vicki begann nun “offiziell” ihre Karriere als Schriftstellerin, indem sie einen Vertrag mit dem Ullstein-Verlag für Eingang zur Bühne und drei weitere Romane unterschrieb. Mit 12.000 Mark plus Tantiemen war sie wieder selbständig und trug sogar den Hauptteil zum Familienunterhalt bei. Tagsüber war sie Hausfrau und Mutter und Richards wichtigste musikalische Beraterin. Abends, wenn er in der Oper war und der Kleine schlief, hatte Vicki Zeit für sich und schrieb. Baum beschreibt die Zeit in Hannover als persönlichen Durchbruch: “In den ersten Jahren nach dem Krieg hatte ich das Gefühl, in ein anderes Land gekommen zu sein, wo ich zu Hause und glücklich war. Ich hatte mich selbst gefunden; wahrscheinlich war es nichts anderes, als daß ich endlich … ein erwachsener Mensch geworden war…. zugleich fühlte ich mich durch ein ungekanntes Freiheitsgefühl beschwingt, konnte fliegen, konnte tanzen.”
Schon die frühen Werke zeigen ihre charakteristischen Stärken: “die genaue Kenntnis eines Milieus, … einfühlsame Figurenzeichnungen, die geschickte Konstruktion sowie das sichere Gespür für Melodramatik” . Eingang zur Bühne erschien 1920 und war ein grosser Erfolg, zuerst als Fortsetzungsroman in der Vossischen Zeitung (Auflage 80.000 Exemplare), dann in der Reihe der Gelben Ullsteinbücher für eine Mark. In den nächsten acht Jahren wurden 146.000 Exemplare verkauft. Auf ähnliche Weise erreichten Baums weitere Romane das neue Massenpublikum der Weimarer Republik, das vor allem Unterhaltung suchte. Der Verlag war begeistert von seiner neuen Autorin und versuchte, sie mit einem Exklusivvertrag an sich zu binden.
Zunächst zögerte sie: Sie wollte frei sein, anderweitig zu veröffentlichen, eine radikal unabhängige Künstlerin zu sein. Zwei Seiten ihres Charakters lagen miteinander im Streit: die bürgerliche, nach Sicherheit strebende, familienorientierte Seite gegen die freiheitsliebende nomadenhafte: “Doch stehen meine Nestbauinstinkte … im offenen Widerspruch zu meinen durchaus entgegengesetzten Trieben, frei und unabhängig zu sein, ohne Bürde und Ballast, eine Nomadin, eine Zigeunerin.” Obgleich Baum ungern etwas von sich preisgab und dies für “Selbstbeschau” hielt, tat sie es in ihren Büchern doch, die oft in abgewandelter Form ihre eigenen Erlebnisse und Konflikte behandeln. Baum mußte aber auch viel Zeit auf den täglichen Existenzkampf verwenden. “Der größte Teil meiner Zeit verging mit der Jagd auf Lebensmittel.” . Als sie in den Revolutionstagen mit ihren zwei Jungen und dem Sack für erworbene Lebensmittel unterwegs war, geriet sie sogar in die Schußlinie einiger Heckenschützen.
Mannheim 1924-25
Die Familie zog 1924 nach Mannheim, wo Richard Lert Generalmusikdirektor wurde. Doch Vicki gefiel die Stadt nicht. “Nach dem guten frischen Wind, der in Hannover so aufpeitschend durch Kunst- und Theaterleben fuhr, und dem alles durchdringenden Gefühl, dort in meiner Zeit zu Hause zu sein, war mir in Mannheim, als würde ich in eine stehengebliebene Vergangenheit zurückversetzt, in die alte Bourgeoiswelt, der ich vor langem entflohen war.” Als Richard auch Schwierigkeiten mit seinen Leuten bekam und weg wollte, besann sie sich wieder auf das Angebot von Ullstein, in Berlin für den Verlag zu arbeiten.
Berlin 1926–1931
In Berlin arbeitete Vicki als Redakteurin und Autorin exklusiv für Ullstein, ab 1929 der größte Verlag in Europa. Richard Lert folgte ihr erst zwei Jahre später nach Berlin, zunächst als Gastdirigent, dann als Erster Kapellmeister an der Staatsoper. Baum schrieb und redigierte Rezensionen, Artikel und Erzählungen für die diversen Organe des Verlags, wie Die Dame, Uhu und die Berliner Illustrirte Zeitung (BiZ). Zwischen 1926 und 1932 erschienen fünf ihrer Romane zuerst als Folgeveröffentlichungen in der BiZ. Dadurch erhöhte sich die Auflage der Zeitung auf fast zwei Millionen und Baum wurde zum Star des Hauses. Sie fühlte sich in Berlin und bei Ullstein „wie auf dem Nabel der Welt“ und half, sowohl durch ihre Person wie durch ihre schriftstellerische Tätigkeit, das Lebensgefühl der zwanziger Jahre zu prägen. Als Erfolgsautorin und Mutter zugleich, als selbständige Frau, die sich modern und modisch kleidete und Sport trieb (sie nahm Boxunterricht)—war Vicki Baum eine gelungene Verkörperung der „Neuen Frau“ der Weimarer Zeit und wurde auch als solche von Ullstein vermarktet.
Baums Roman stud. chem Helene Willfüer (1928) erzählt im Stil der damals weit verbreiteten Neuen Sachlichkeit die Geschichte einer jungen Studentin, die ungewollt schwanger wird und vergeblich versucht, eine Abtreibung zu bekommen; trotz „lediger Mutterschaft“ wird sie später eine anerkannte Chemikerin und entwickelt ein Verjüngungs-Wundermittel. Baums Darstellung einer starken, unabhängigen “Neuen Frau” wird relativiert durch melodramatische Elemente und eine traditionelle Liebesgeschichte. Es war aber vielleicht gerade diese Mischung, die das Buch so ungeheuer erfolgreich werden ließ. Die Folgeveröffentlichung in der BiZ erhöhte deren Auflage um 200 000. Der Roman wurde 1929 mit Olga Tschechowa als Helene verfilmt. Baum selbst wurde zur Berühmtheit in Deutschland.
Mit Menschen im Hotel: Ein Kolportageroman mit Hintergründen (1929) wurde Vicki Baum auch international berühmt. Das Buch wurde 1930 in Berlin und als Grand Hotel auch auf dem Broadway auf die Bühne gebracht und dann, starbesetzt (Greta Garbo, John und Lionel Barrymore, Joan Crawford), 1932 von MGM verfilmt. Der Roman wurde auch in England und den USA sofort zum Bestseller—bis 1936 wurde er in mindestens 16 Sprachen übersetzt—und begründete eine neue Gattung, den Hotelroman. Das Hotel, für Baum Symbol der modernen Gesellschaft, ist Mittelpunkt des Geschehens, wo verschiedene Charaktere aus unterschiedlichen Klassen und Gruppen aufeinandertreffen, miteinander agieren und dann wieder auseinandergehen. Das Leben in Baums Großstadt ist schnell und aufregend, doch unpersönlich und zersplittert.
Amerika 1931-1960
Als Grand Hotel ein Broadway-Hit wurde, reiste Vicki Baum nach Amerika, um an der Werbekampagne ihres New Yorker Verlags Doubleday teilzunehmen. Auch dort wurde sie als Star gefeiert, reiste durch das Land und kam nach einer mehrwöchigen Publicity-Tour in Hollywood an, wo sie einen langfristigen Vertrag als Filmbuchautorin angeboten bekam. Sie ging kurz nach Deutschland zurück, beschloß aber, dauerhaft in den USA zu bleiben. Die politischen Entwicklungen in Deutschland beunruhigten sie, sie war aber auch durchaus von Amerika angetan und wollte ihre Söhne dort großziehen.
Obwohl Vicki Baum New York liebte, ließ sich die Familie 1932 in Kalifornien in der Nähe von Los Angeles nieder und baute sich 1933 in Pacific Palisades ein Haus (das später Whoopi Goldberg bewohnte). Richard Lert wurde Dirigent des Pasadena City Orchesters. Vicki arbeitete bis 1949 für die Filmindustrie, hatte aber als Drehbuchautorin nicht den erwarteten Erfolg. Sie schrieb auch Artikel für Zeitschriften und publizierte weiterhin Romane, die in beiden Ländern veröffentlicht wurden. Am Anfang schrieb sie ihre Romane noch auf Deutsch; als das NS-Regime 1935 ihre Bücher in Deutschland verbot, erschienen sie bei dem Amsterdamer Exilverlag Querido. Ab 1941 begann sie dann auf Englisch zu schreiben, da ihr die englischen Übersetzungen ihrer Bücher nicht gefielen. Baum, die 1938 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft bekam, wurde mehr und mehr als amerikanische Schriftstellerin deutscher Herkunft angesehen. Wie Marlene Dietrich hat sie auch EmigrantInnen aus Hitler-Deutschland geholfen. Nach dem Krieg fuhr sie wieder nach Europa, wollte aber keine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland oder Österreich, obwohl ihr das Amerika der McCarthy-Ära immer weniger zusagte.
Vicki Baum lebte dauernd in dem Konflikt, entweder auf die Schnelle etwas Populäres zu produzieren, um Geld zu verdienen, oder ein literarisch anspruchsvolleres Werk zu schreiben und als dessen Autorin ernstgenommen zu werden. Ihre Versuche in diese Richtung, wie The Weeping Wood (1943) oder The Mustard Seed (1953), wurden aber kaum als solche anerkannt, so stark war Baum als populäre Melodramatikerin gebrandmarkt. Nicht nur solche Enttäuschungen, auch ihre angegriffene Gesundheit machten ihr das Schreiben in späteren Jahren immer schwerer. Sie starb am 26. Juni 1960 an Leukämie.